Barrierefreiheit Einstellungen
 Sibylle Disch ist gelernte und studierte Kauffrau, schnuppert als Freelancerin in Brüssel und Strasbourg in die EU-Politik und arbeitet über 10 Jahre selbständig im Bereich der Erwachsenenbildung / Coaching, bevor sie sich auf das größte Abenteuer einlässt: ihre Kinder ins Leben begleiten. Durch Reisen im Regenwald schon vor über 30 Jahren für Arten- und Lebensschutz sensibilisiert, ist sie nichtnur politisch aktiv, sondern auch daran interessiert,enkelinnentaugliches Leben ganz pragmatisch im Alltag umzusetzen.
Wie lange hast Du im Rieselfeld gewohnt und was hat Dir hier am besten gefallen?
Unsere Familie ist 2011 von Bonn mitten ins Rieselfeld gezogen. Das Tolle am Rieselfeld waren die kurzen Wege, der nahe Bioladen mit Vollsortiment und herzlichem Team und natürlich Feld, Wald und Wiesen, die unseren Kindern viele kreative Spielmöglichkeiten boten. Vorab gleich auch der Genderhinweis: ich verwende hier der Einfachheit halber die weibliche Form. Männer sind - natürlich - immer mitgedacht :)
Wie gut kennst Du das Rieselfeld?
Nach 14 Jahren bestimmt ganz gut, wobei immer wieder deutlich wurde, dass wir nicht zur 'Gründerinnengeneration' gehörten - egal, in welchem Verein oder in welcher Institution Engagement stattfand. Das hat es manchmal erschwert, sich wirklich einbringen zu können.
Ansonsten galt sehr schnell die Antwort auf die Frage 'Du bist dann eine Rieselfelderin, wenn...', die bei einem unserer ersten Stadtteilfeste an der Pinnwand vor der Kirche hing: 'Du Deiner Familie sagst, ich geh' mal schnell einkaufen und Du frühestens nach zwei Stunden wieder kommst, weil Du unterwegs so viele nette Menschen getroffen hast'. Es ist leicht, im Rieselfeld in Kontakt zu kommen und nette Menschen kennenzulernen :)
Wie bist Du zu Deinem ehrenamtlichen Engagement gekommen und warum?
Als Ökonomin wurde mir schon im Studium klar, dass Arbeit als Produktionsfaktor immer nur als Erwerbsarbeit gedacht ist und das viel zu kurz gesprungen ist. Denn ohne Carearbeit kann Erwerbsarbeit auf Dauer gar nicht stattfinden. Auch unsere Gesellschaft funktioniert nicht, wenn sich niemand dafür engagiert... also habe ich schon im Studium angefangen, mich bei Greenpeace zu engagieren. Irgendwann bin ich dann auf Frigga Haug und ihr 'Vier-in-Einem'-Konzept gestoßen: sie unterteilt Arbeit in Erwerbsarbeit, Reproduktions(Care)Arbeit, die Tätigkeit der Selbstentwicklung und (!) Demokratiearbeit, also Arbeit FÜR unsereGesellschaft. Und alle 4 Bereiche sind gleich wichtig. Als unsere Kinder kamen, haben wir entschieden, dieses Modell innerfamiliär umzusetzen. Dadurch hatte ich viel Spielraum, mich ehrenamtlich zu engagieren.
Was war genau Deine Aufgabe bei der Kirche, für die Du lange im Einsatz warst?
2015 kam ich zufällig mit Christa Straub im Kirchenladen ins Gespräch, was dazu führte, dass ich anfing, im Ladenteam mitzuarbeiten. Ein paar Jahre später fingen die Kürzungen in den Kirchen an, was zu deutlichen Einschnitten in den Stunden der Hauptamtlichen im und für den Laden führte. Ich habe dann nach und nach Aufgaben übernommen, zunächst die Infomails ans Ladenteam, während Corona dann auch den Verkauf auf Bestellung und zusammen mit Elisabeth den Einkauf des Warensortiments. Das hat viel Freude gemacht und Elisabeth und ich haben uns wunderbar ergänzt und mit viel Freude das Sortiment im Laden nach und nach erweitert und ergänzt. Die letzten Jahre war ich quasi ehrenamtliche Geschäftsführerin.
Wie bist Du darauf gekommen, dich in der Kirche zu engagieren?
Da ich schon mit 19 aus der Kirche ausgetreten bin, lag das eigentlich gar nicht so nahe. Doch Christa war im Gespräch sehr überzeugend und ich hatte Lust auf Engagement im und für das Rieselfeld.
Wo warst Du sonst noch aktiv im Rieselfeld?
Als Elternbeirätin, Lesemutter und bei unserem Versuch an der Waldorfschule in diversen Arbeitskreisen dort.
Während der Corona-Zeit war ich dann auch im Rieselfelder Hilfenetzwerk aktiv und habe verschiedene Kinder an der Clara-Grunwald-Schule betreut, um die Lockdown-Lücken schließen zu helfen. Das hat mir sehr viel Freude gemacht und so manchen dauerhaften Kontakt zu den Familiengeschaffen.
'Fremdgegangen' bin ich im Klimagarten Dietenbach, der von unserem Nachbarn Dieter maßgeblich initiiert wurde und wo wir viel experimentiert und so manches Mal auch heftig darum gerungen haben, einen plastikfreien Garten zu etablieren. Eine besondere Herausforderung aller urbanen Gärten ist die Kommunikation nach außen, denn die Grundidee ist ja: jede, die mitgärtnert, darf auch miternten. Und geerntet wird immer nur so, dass auch für die anderen noch was zur Verfügung steht. Da braucht es seitens der Gärtnerinnen oft viel Langmut, wenn trotz Schildern und Hinweisen z.B. die Möhren rausgerissen und mangels fehlender Größe dann doch liegen gelassen werden. Urbane Gärten sind also auch ein Lernraum für unser MITEINANDER.
Als Russland die Ukraine mit Krieg überfallen hat, kam mir der Gedanke, dass es sinnvoll wäre, wenn nicht jede Rieselfelderin ihre Sachspenden zum Einlädele fährt, sondern wir im Rieselfeld ein Sammelstation einrichten und dann einmal fahren. Dank Sarah-Louise Müller (Evangelische Kirche) und Norman Pankratz (k.i.o.s.k.) ließ sich diese Idee ruckzuck umsetzen und wir waren sehr schnell sehr überwältigt von der immensen Hilfsbereitschaft im Rieselfeld. Marcus Hantel vom Marktladen und Sabine Brämer von der VitaVia-Apotheke haben sich direkt bereit erklärt, alle Einkäufe für die Ukraine-Hilfe zum Einkaufspreis abzugeben und auf ihre Marge zu verzichten. Das Media-Center hat eine große Spende an Geräten bereitgestellt und die Rieselfelderinnen haben die Sammelstelle im Glashaus mit Spenden regelrecht geflutet, so dass wir den von Rinklin Naturkost zur Verfügung gestellten LKW komplett befüllen konnten.
2024 bin ich dann ehrenamtlich nach Weingarten gewandert, wo sich eine handvoll Engagierte um den Erhalt unserer Demokratie kümmert und im EBW regelmäßig das Format 'Sprechen & Zuhören' anbietet (https://www.mehr-demokratie.de/mehr-wissen/demokratische-kultur/sprechen-zuhoeren). Dieses Format fällt nicht nur in die Sparte Demokratiearbeit, sondern bietet auch eine gute Möglichkeit der Selbstreflexion/Selbstentwicklung. Die Versuche, das Format auch im Rieselfeld bei einer der Institutionen anzudocken, verliefen (bisher) leider im Sand.

Warum hörst Du Deine ehrenamtliche Tätigkeit auf und wohin zieht es Dich nun?
Unsere Zeit im Rieselfeld geht nach vierzehn Jahren zu Ende und wir ziehen ins Nordbadische. Meine ehrenamtliche Tätigkeit hört damit nicht auf, sie zieht mit um :)
Was beschäftigt Dich gerade?
Aktuell unser Umzug und alles, was organisatorisch damit zusammenhängt.
Was sind typische Herausforderungen für Dich?
Im Sinne der Selbstentwicklung ganz bei mir zu bleiben und dabei klar zu haben, dass Selbstfürsorge nix mit Egozentrik zu tun hat. Im Sinne der Demokratiearbeit den Satz von Gisela Erler 'in der Demokratie haben die anderen auch Recht' im täglichen Miteinander zuleben.
Wie konntest Du mit Deiner Arbeit die Kirchen und/oder das Rieselfeld bereichern?
Impulse für die Weiterentwicklung im Team und im Sortiment setzen, die sich auch sehr positiv auf die Bilanz des Kirchenladens ausgewirkt haben und sich hoffentlich erhalten. Weiteres habe ich ja schon ausführlich beschrieben.
Was sind Deine Stärken?
Menschen in ihrem Sein wahrzunehmen, organisieren und strukturieren, vernetzen, klar kommunizieren.
Was hast Du am neuen Wohnort vor?
Erstmal in Ruhe ankommen. Demokratiearbeit ist mein Herzensprojekt, Sprechen & Zuhören möchte ich auch hier initiieren und etablieren. Alles Weitere wird sich finden, so wie im Rieselfeld auch.
Was wünschst Du Dir für die Zukunft?
Gesundheit und Menschen, die mich fordern und fördern.
Den Rieselfelderinnen wünsche ich von ganzem Herzen, dass die "Grüne Mitte" wirkt und die Stadt Freiburg als Folge der Dietenbachrodungen weitere Maßnahmen zur Hitzereduzierung und Verbesserung des Mikroklimas im Quartier umsetzt.
Gibt es eine Erfolgsgeschichte, die dich und die Kirchen prägte und erzählst du uns davon?
Mit langem (coronabedingtem) Anlauf einen Adventsmarkt des Kirchenladens etabliert zu haben. Die Idee stammt von Annette, einer sehr engagierten Ladenmitarbeiterin und es ist schön zu sehen, wie sich der Markt von Jahr zu Jahr weiter entwickelt.
Gibt es einen Rat, den du unseren Leser*innen mit auf den Weg geben möchtest?
Traut Euch - ehrenamtliches Engagement ist so vieles und fängt tatsächlich direkt vor der eigenen Haustür an.
Wir bedanken uns herzich für das tolle Interview und wünschen Dir alles Gute beim Neuanfang im Nordbadischen! Wir werden Dich vermissen ...