Barrierefreiheit Einstellungen
In der 11. Klasse reift in den Schüler*nnen die Frage nach ihren Möglichkeiten der Weltgestaltung, der Weltwirksamkeit. In allen Fachbereichen werden hierzu Themen bearbeitet, in denen innere und äußere Vertiefung und Erweiterung erprobt und erlebt werden kann.
Um diesen Entwicklungsprozess gerecht zu werden und der drängenden Frage nach Zeitgenossenschaft zu entsprechen, werden in der jeweiligen 11. Klasse im Fach Geographie seit vielen Jahren die aktuellen globalen Krisen und deren wirtschaftliche Grundlagen bearbeitet.
Daraus entstehen Fragen bei den SchülerInnen, wie man individuell mit den bedrängenden Zuständen umgehen kann. Konkrete Angebote werden mit Hilfe zahlreicher lokaler Initiativen und Organisationen aufgezeigt, die mit großem, oft ehrenamtlichen Einsatz daran arbeiten, solidarische Wirtschaftsweisen konkret werden zu lassen, die aber nicht leicht Zugang zu Schulen und damit zur Zukunft der Gesellschaft bekommen.
In diesem Zusammenhang entstand schon vor ca. 5 Jahren neben ...
vielen anderen Initiativen Kontakt zur Freiburger Gruppe der Gemeinwohlökonomie-Initiative (=GWÖ). Nach Christian Felber, dem Begründer des Gemeinwohlökonomiegedankens, sollten Unternehmen nicht nur wie bisher üblich ihre geldwerten Wirkungen bilanzieren müssen, sondern alle Wirksamkeiten, seien sie sozialer, ökologischer oder ökonomischer Natur, dokumentieren. Da eine zentrale Aufgabe der Ökonomie (in etwa: Lehre von der richtigen Haushaltsführung) laut verschiedenen Verfassungen die Förderung des Gemeinwohles ist, sollten Unternehmen nicht die Gewinnmaximierung auf Kosten anderer anstreben, sondern eben das Wohl der Gemeinschaft – sei es nun ein Dorf, eine Nation oder die Weltgemeinschaft.
Nach Unterrichtsbesuchen von GWÖ-Aktiven, reifte der Wunsch, dass wir als Schule und Unternehmen, welches zahlreiche Wirksamkeiten in seine Umwelt hat, doch auch eine solche Gemeinwohlbilanz erstellen sollten.
Zudem schien eine Gemeinwohlbilanz ein hervorragendes Werkzeug zur Unterstützung der Transparenz in die Schulgemeinschaft hinein, als auch in das weitere Umfeld hinaus. Und natürlich war der Gedanke verlockend, mit den waldorftypischen, gemeinwohlorientierten Eigenheiten Zeichen setzen zu können. Die Gemeinwohlbilanz kommt den Grundgedanken der Waldorfpädagogik, der Selbstverwaltung und der sozialen Dreigliederung entgegen und bewertet diese als positive Eigenschaften.
Zuerst fand sich eine Projektwochengruppe von 4 SchülerInnen der damals 11. Klasse, die unter meiner extensiven Begleitung begannen, Interviews zu führen und unternehmerische Daten zu eruieren. Ein Schüler dieser Projektgruppe fing bereits in dieser Woche Feuer und machte diese Aufgabe zu dem Thema seiner 12. Klassarbeit.
Als er seine Arbeit vor großem Publikum präsentierte, konnte er verkünden, dass der Schulvereinsvorstand eine Mitgliedschaft bei der Gemeinwohlökonomie befürwortet. Er hatte in diesem Jahr einen sogenannten Einstiegsbericht erarbeitet, eine stark reduzierte Version, die dem Kennenlernen der Berichtsinhalte dienen soll, aber nicht zertifiziert wird.
Auf dieser Grundlage hat dann ein ehemaliger Schüler unserer Schule mit mir in gut einem weiteren Jahr in ca. 80 Stunden einen ersten Bericht zusammengestellt. Dabei wurden wir von der Gemeinwohlökonomie durch eine Beraterin begleitet und konnten uns mit anderen Pionierunternehmen in einer Art Peer-Beratung (peers ~ Gleichgestellte) austauschen und Probleme diskutieren. Dabei stießen wir oft auf die Schwierigkeit, dass die Bilanz bisher von und für produzierende Unternehmen ausgearbeitet worden war. Obgleich nicht die erste Bildungseinrichtung, sind wir eben doch die erste Schule, die diesen Prozess durchlief. Formulierungen mussten angepasst werden, zum Teil waren Fragen für uns als gemeinnütziger Verein gar nicht zutreffend.
Der fertige Bericht wurde dann von einem Partnerunternehmen überprüft, ebenso von der begleitenden Beraterin und die Selbsteinschätzungen angeglichen. Letztlich prüfte noch ein uns unbekannter Gemeinwohlökonomieberater unsere Arbeit.
Im Sommer 2017 erhielten wir unser abschließendes Zertifikat. Seit Herbst 2017 kann nun jeder auf unserer Schul-Homepage den gesamten Bericht herunterladen und einen vertieften Einblick in unsere inneren Strukturen haben – die Veröffentlichung der Daten ist Bestandteil des Prozesses.
Die Veröffentlichung der Gemeinwohlbilanz unserer Schule ist eine Konsequenz aus unserer Aufgabe, ein Labor für die Gesellschaft von morgen zu sein und – ebenso wichtig – ein gelebtes Vorbild für unsere SchülerInnen. So, wie an den Waldorfschulen Demokratie in Form von Selbstverwaltung tatsächlich gelebt wird, in einem beinahe 100jährigen Ringen um ein gutes Miteinander aller Beteiligten, so braucht es auch auf allen anderen Ebenen Vorbildlichkeit. Und tatsächlich leben wir als Waldorfbewegung in vielen Punkten bereits traditionell oder aus immer wieder selbst erneuernder Erkenntnis, befördert durch die visionären Ansätze Rudolf Steiners eine über das Mittelmaß weit hinausgehende Gemeinwohlorientierung.
Glücklicherweise gibt es auch außerhalb der anthroposophischen Gemeinschaft immer mehr Unternehmen, die im sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Bereich verantwortlich auf lange Sicht und im weltweiten Maßstab handeln und das reine Gewinnstreben als zerstörerisch entlarven. Immer mehr dieser Unternehmen entdecken die Gemeinwohlbilanz als Möglichkeit, ihr Handeln zu überprüfen und transparent zu machen. Hier lohnt sich unbedingt eine Vernetzung.
Ich kann meinen KollegInnen nur empfehlen, sich mit diesem Werkzeug auseinanderzusetzen, als Unterrichtsinhalt, als auch um der eigenen unternehmerischen Wirksamkeit bewusst zu werden, um Übersehenes ans Licht zu bringen und Vorhandenes weit über die Waldorfgemeinschaft hinaus bekannt werden zu lassen.
Autor: Steffen Schürkens
seit 15 Jahren Oberstufenlehrer für Biologie, Erdkunde und Schauspiel, Vorstand und Mitglied der Schulführung im Ressort Schulentwicklung in der FWS Freiburg Rieselfeld
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